Leipziger Judentümer – Universität, Stadt und Hof als Produzenten, Speicher und Vermittler von Wissen über Juden und Judentum


vom 16. - 18. Dezember 2009

veranstaltet von der Universität Leipzig

im Hauptgebäude der Universitätsbibliothek Leipzig (Bibliotheca Albertina)

Konzeption: Anke Költsch, M.A. & Dr. Stephan Wendehorst

Mit Unterstützung von der Fritz Thyssen Stiftung sowie der Universitätsbibliothek Leipzig

 

Ziel der Tagung sind Rekonstruktion und Untersuchung der Rolle, die Juden und Judentum in der Wissenskultur der Frühen Neuzeit einnahmen. Die gängige Vorstellung von dieser Rolle ist durch drei Prämissen geprägt: In der Vormoderne war die Beschäftigung mit Juden und Judentum – so die herrschende Meinung – erstens theologisch motiviert, zweitens, unter Ausklammerung des zeitgenössischen Judentums auf das biblische Judentum beschränkt und drittens gemessen an modernen wissenschaftlich-kritischen Maßstäben von allenfalls antiquarischem Interesse. Diese drei, als geradezu axiomatisch geltenden Annahmen sollen auf der Tagung kritisch reflektiert werden.

Noch im 18. Jahrhundert war ungeachtet aller Voreingenommenheiten und Verzerrungen auf nicht-jüdischer Seite quer durch die philosophischen, theologischen und juristischen Fakultäten eine relativ breite Beschäftigung mit jüdischen Themen, darunter auch zeitgenössischen und innerjüdischen Gegenständen, anzutreffen. Dies lässt sich anhand zahlreicher Abhandlungen, Disputationen und Gutachten der Theologischen Fakultät wie auch der Juristenfakultät und des Leipziger Schöffenstuhls, aber auch an den Bibliotheksbeständen nachweisen.

Die Prozesse der Professionalisierung, Verstaatlichung, Nationalisierung und Verfachlichung der Wissenschaften, die wir mit der Modernisierung der Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert verbinden, hat eher einen Wandel in den Herstellung und Vermittlung universitären Wissens über Juden und Judentum bewirkt als erst die Voraussetzungen für deren Entstehen geschaffen. Dieser Wandel hat einerseits, etwa auf dem Gebiet der Philologie, zu einer Professionalisierung und Ausdifferenzierung des Wissens geführt. Er war aber andererseits auch unmittelbar mit der Streichung jüdischer Themen aus dem universitären Kanon verbunden.

Es gibt mehrere Gründe, die gestellten Fragen, am Beispiel Leipzigs zu verfolgen. Erstens, Leipzig gehörte mit Göttingen, Halle und Jena zu den größten und beliebtesten Universitäten des Römisch-Deutschen Reichs. Zweitens, nach Prag, Heidelberg und Wien war Leipzig, gegründet 1409, die viertälteste Universität des Römisch-Deutschen Reichs nördlich der Alpen. Ihre lange und ununterbrochene Geschichte bietet ausgezeichnete Voraussetzungen dafür, den sich verändernden Platz von Wissensbeständen über Juden und Judentum im Wissenskanon in epochenübergreifenden Längsschnittstudien zu untersuchen. Drittens, Leipzig war nicht nur Universitäts-, sondern auch Handelsstadt. Viertens, auch wenn Leipzig weder die Hauptstadt des Kurfürstentums Sachsen noch der Union zwischen Sachsen und Polen-Litauen war noch Reichsinstitutionen wie den Reichstag oder das Kammergericht beherbergte, kann seine Geschichte nur im Kontext der politischen Geschichte Sachsens, der Verbindung mit Polen-Litauen und des Reichs verstanden werden. Der Hof des Kurfürsten-Königs war nicht nur während der Messezeiten in Leipzig präsent, ein signifikanter Unterschied zu Hamburg oder Frankfurt.

 

Programm

MITTWOCH, 16. DEZEMBER 2009


Teil I: Die Vormoderne in der Moderne
Paulus von Prag und seine moderne Nachgeschichte
Ruth von Bernuth, Chapel Hill
 
Bach und die „perfidia iudaica"
Dagmar Hoffmann-Axthelm, Basel

Vergessene Vorläufer des Zionismus? Hugo Grotius, John Selden, Carl Ferdinand Hommel und die völkerrechtliche Deutung der rechtlichen Stellung der Juden in der Frühen Neuzeit
Stephan Wendehorst, Gießen/Wien

Teil II: Rahmenbedingungen
Stadt und Universität Leipzig in der Frühen Neuzeit
Detlef Döring, Leipzig

Der Leipziger Wechselmarkt in der vorindustriellen Zeit
Markus Denzel, Leipzig

Festvortrag
Combining Business with Pleasure: Jews at the Leipzig Fairs in the Early Modern Period
Elisheva Carlebach, New York

Anja Amend-Traut und Gabriele Schlick-Bamberger, Frankfurt a.M.

Konvertiten und Kirche in Sachsen um 1700
Alexander Schunka, Stuttgart

Herrschaftskonkurrenz und Antisemitismus – ein antijüdischer Wettlauf? Die brandenburgischen Erbansprüche in Franken und der Fall Eisenmenger im 18. Jahrhundert
Stefan Ehrenpreis, Berlin/München

Der Hebräische Buchdruck in Leipzig
Ittai Tamari, München

Teil IV: Personen
Wahrnehmung oder Widerlegung? Hugo Grotius über die Vielfalt der Religionen
Christoph Bultmann, Erfurt

Christliche Hebraistik und lutherische Orthodoxie - Das Beispiel Johann Benedikt Carpzov (1639-1699) in Leipzig
Stefan Michel, Jena


FREITAG, 18. DEZEMBER 2009


Moses Mendelssohns Gottsched-Kritik. Philosophische und ästhetische Differenzen zwischen Berlin und Leipzig
Grit Schorch, Halle
 
Wissensspeicher – Speicherort: Zwei "Juden-Könige" in "christlichen" Quellen - Sabbatai Zwi und Oliger Pauli
Jeannine Kuhnert, Erfurt

Teil V: Konkurrenz und Austausch: Kunst und Architektur
Der Schattenriss des Jerusalemer Tempels aus dem Jahr 1694 von Leonhard Christoph Sturm
Heinrich Dilly, Halle
 
Eine christlich-kabbalistische Interpretation der Inschriften an Barthels Hof, als Beispiel der Rezeption jüdischer Traditionen im Leipzig des 16. Jahrhunderts
Tobias Funke, Leipzig

Die 'Juden-Schul' im Dresdner Zwinger. Eine Spurensuche nach einem vergessenen jüdischen Museum des 18. Jahrhunderts
Michael Korey, Dresden

Abschlussdiskussion

DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2009


Teil III: Institutionelle Schnittstellen
Das Bild vom „Judentum“ in der Frühneuzeitlichen Journalistik. Die Wochenzeitschrift „Der Rabbiner“ des Theologen und Polyhistors Johann Christian Schöttgen
Nathanael Riemer, Potsdam

Das Institutum Judaicum in Halle/Saale und dessen Leipziger Freundeskreis in seiner Vermittlerrolle zwischen Kirche und Judentum: periodische Informationsschriften, Korrespondenz, missionarische Begegnungen sowie jiddische Sprach- und Proselytenpflege
Christoph Rymatzki

Die Judaicabestände der Universitäten Halle und Wittenberg
Giuseppe Veltri, Halle

Das Gutachten der Leipziger Theologen gegen die Ritualmordvorwürfe in Polen
Jacub Goldberg, Jerusalem

"Aus dem Grunde der Menschlichkeit..." - Wie die Leipziger Juristenfakultät dazu beitrug, die Teilhabe der Juden an den geltenden Rechten zu bekräftigen
Anja Amend-Traut und Gabriele Schlick-Bamberger, Frankfurt a.M.

Konvertiten und Kirche in Sachsen um 1700
Alexander Schunka, Stuttgart

Herrschaftskonkurrenz und Antisemitismus – ein antijüdischer Wettlauf? Die brandenburgischen Erbansprüche in Franken und der Fall Eisenmenger im 18. Jahrhundert
Stefan Ehrenpreis, Berlin/München

Der Hebräische Buchdruck in Leipzig
Ittai Tamari, München

Teil IV: Personen
Wahrnehmung oder Widerlegung? Hugo Grotius über die Vielfalt der Religionen
Christoph Bultmann, Erfurt

Christliche Hebraistik und lutherische Orthodoxie - Das Beispiel Johann Benedikt Carpzov (1639-1699) in Leipzig
Stefan Michel, Jena