Die Juden und ihr Recht. Eine Rechtsgeschichte


Ziel dieser Lehrveranstaltung ist ein Überblick über die Geschichte der Rechtsverhältnisse der Juden in der Neuzeit im internationalen Vergleich. Die Forschung hat sich auf drei Aspekte konzentriert, die Auseinandersetzungen um die rechtliche Gleichstellung der Juden im „langen“ 19. Jahrhundert mit Frankreich und Deutschland als paradigmatischen Fällen, die Entrechtung und Vernichtung der Juden in der NS-Neit und die Errichtung des Staates Israel und den Nahostkonflikt. Der Kurs geht über diese Ansätze hinaus, in epochaler Hinsicht durch Schwerpunktsetzungen in der Vormodere, der Zwischenkriegszeit sowie der jüngeren Vergangenheit, in thematischer Hinsicht durch die Berücksichtigung von Recht, das nicht oder nicht nur durch den Nationalstaat erzeugt wurde, insbesondere das internationale Recht und Religionsrechte sowie durch die parallele Betrachtung der Frage, welche Rechte und Pflichten Juden als Individuen und als Angehörige einer Gruppe besaßen und besitzen. Für diese Neuausrichtung der Untersuchung der Geschichte der Rechtsverhältnisse der Juden kommt dem Hl. Röm. Reich, dem Habsburgerreich und der Zwischenkriegszeit besondere Bedeutung zu. Die pluralistische Rechtsordnung des Hl. Röm. Reichs kannte das jüdische Recht als „richtiges“ Recht und bildete den Hintergrund für die Herausbildung eines paritätischen Staatskirchenrechts. Das Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Habsburgerreichs als multinationalem Imperium bildete den Hintergrund für Theodor Herzls Erfindung der Juden als moderne Nation. Die Zwischenkriegszeit war ein Laboratorium unterschiedler Rechtsregime – rechtliche Gleichheit des Individuums im klassischen liberalen Sinn, religiöse und/oder nationale Minderheitenrechte und/oder Schutz durch das Völkerrecht. Diese Diskussionen wurden teils direkt, teils indirekt im britischen Völkerbundsmandat Palästina und im Staat Israel bzw. den besetzten Gebieten fortgesetzt. Die Herausforderungen, vor denen der Staat Israel und seine hochgradig segmentierte Gesellschaft stehen, weisen strukturelle Ähnlichkeiten mit denen der post-imperialen Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs in der Zwischenkriegszeit auf.