Sitzung des kaiserlichen Reichshofrats in Wien, 17. Jahrhundert. Holzschnitt eines unbekannten Künstlers.

Isidor Kracauer, 1852-1923

Die jüdischen Betreffe des Reichshofrats

 

PD Dr. Stefan Ehrenpreis (Humboldt Universität Berlin), Prof. Dr. Karl Härter, in Nachfolge Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt a.M.) & Dr. Stephan Wendehorst (Justus-Liebig Universität Gießen/Universität Wien)


Die Rekonstruktion und Analyse der jüdischen Betreffe des Reichshofrats zählt zu den zentralen Anliegen des Projektclusters „Jüdisches Hl. Röm Reich. Geschichte der Juden als Geschichte von Zwischenräumen eines polyzentrischen Politik-, Rechts- und Sozialsystems. Ziel dieses Projekts ist die systematische Erschliessung der Juden betreffenden archivalischen Überliefung des kaiserlichen Reichshofrats. Berücksichtigt wird nicht nur die zentrale Überlieferung im Österreichischen Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv , sondern auch die lokale Gegenüberlieferung. Das Projekt verspricht einen Beitrag zur Geschichte der Juden im Römisch-Deutschen Reich wie auch zur Funktionsweise einer der bedeutendsten Reichsinstitutionen.

Als eines der beiden obersten Gerichte des Hl. Röm. Reichs und zugleich wichtigstes Beratungs- und Exektutivorgan des Kaisers in allen das Reich betreffenden Fragen - zunehmend beschränkt auf die nicht-habsburgischen Teile des Reichs - war der Reichshofrat auch in einer Vielzahl jüdischer Angelegenheiten tätig. Die Rechtsprechung in Streitsachen mit Juden als Klägern und Beklagten, die Erteilung und Erneuerung von Privilegien für jüdische Gemeinden von Hamburg bis Mailand, die Zensur jüdischer wie anti-jüdischer Schriften zählten genauso zu den Aufgaben der Reichshofräte wie die Mitwirkung an den Takkanot (Gemeindestatuten) der Frankfurter jüdischen Gemeinde und der Huldigung der Frankfurter Juden im Anschluß an die Kaiserkrönung . Durch Reichshofratskommissionen war der Reichshofrat mit der Ordnung jüdischer Angelegenheiten nicht nur in Frankfurt am Main, sondern bis nach Ostfriesland und Mecklenburg im Norden des Reichs beteiligt. Obwohl der Reichshofrat an einigen der bekanntesten Wendepunkte in der Geschichte der Juden in ihrem Verhältnis zur nicht-jüdischen Umwelt beteiligt war, so z.B. dem Verbot von Luthers anti-jüdischer Streitschrift „Von den Jüden und ihren Lügen“, der Vertreibung und Rückführung der Frankfurter Juden nach der Niederschlagung des Fettmilchaufstandes oder der Konfiskation von Eisenmengers Buch „Entdecktes Judentum“, das als erste moderne antisemitische Schrift gilt, ist die Tätigkeit des Reichshofrats in jüdischen Angelegenheiten bislang weder vollständig rekonstruiert noch in ihrer Bedeutung erkannt worden.

Die bislang im Rahmen des Projekt-Clusters „Jüdisches Heiliges Römisches Reich“ vorgenommenen Recherchen zu den jüdischen Betreffen des Reichshofrats, insbesondere eine vorläufige Auswertung der Resolutionsprotokolle des RHR für die Zeit von 1648 bis 1806 haben zahlreiche Prozesse zutage gefördert, die Juden aus Gemeinde betrafen, die bislang nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. 1566 klagten beispielsweise die Juden zu Ehingen gegen die Fugger wegen einer angedrohten Austreibung. 1727 klagt die Bürgerschaft der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen gegen die dortige Judenschaft wegen des Verkaufs von Tuch. 1739 klagte die Gemeinde von Lonnerstadt gegen die dortige Judenschaft wegen der Weidenutzung. In den Resolutionsprotokollen finden sich Hinweise auf jüdische Prozessbeteiligte aus bekannten jüdischen Gemeinden wie Frankfurt, Friedberg und Worms, aber auch aus Bamberg, Baiersdorf, Buchau, Bingen, Dessau, Ellingen, Fulda, Fürth, Hamburg, Hanau, Hannover, Herborn, Köthen, Korbach, Mainz, Mannheim, Mergentheim, Neckarsulm, Oettingen, Ostfriesland, Pfersee und Schwabach. Selbst Juden aus Metz, das seit 1648 ausserhalb der Reichsgrenzen lag, haben noch im 18. Jahrhundert Klagen vor dem Reichshofrat angestrengt.

Die in der ersten Projektphase (2000-2004) erstellten Kopien von Juden betreffenden Prozessen vor und von Privilegienerteilungen durch den Reichshofrat können von interessierten ForscherInnen in den Bibliotheken des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte und des Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur and der Universität Leipzig, die jeweils über einen kompletten Satz an Kopien verfügen, konsultiert werden.