Quellenkompetenz in jüdischer, allgemeiner und Rechtsgeschichte

Die Fähigkeit zum selbstständigen Umgang mit Originalquellen ist eine Schlüsselkompetenz für das kritische Verständnis der jüdischen, der allgemeinen und der Rechtsgeschichte. Das Forschungscluster "Jüdisches Hl. Röm. Reich" am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte bietet seit mehreren Jahren Kurse zum Erwerb bzw. zur Vertiefung der Kenntnisse von Originalquellen in unterschiedlichen Sprachen und auf unterschiedlichen Niveaustufen an. Primäres Ziel dieser disziplinübergreifenden Initiative zur Verbesserung der Lehrangebots ist es, die Teilnehmer*innen in die Lage zu versetzen, selbstständig mit Originalquellen – vor allem Handschriften - umzugehen und sich in der komplexen mitteleuropäischen Archivlandschaft zurechtzufinden. Anfänger*innen ohne Vorkenntnisse haben die Möglichkeit, Handschriftenkenntnisse zu erwerben, Fortgeschrittene, ihre bereits vorhandenen Kenntnisse zu vertiefen. Zur Auswahl stehen Kurse in mehreren Sprachen: Jüdische Sprachen (Hebräisch, Jiddisch, Judendeutsch), Deutsch, Latein und Tschechisch.

Neben dem Erwerb bzw. der Vertiefung praktischer Kompetenzen im Umgang mit Handschriften, dem vorrangigen Anliegen dieses Programms, werden drei weitere Ziele verfolgt: Vermittlung einer kritischen Kenntnis der Verflechtung von jüdischer und nicht-jüdischer Geschichte, Vermittlung einer praktischen, auf Quellen der Rechtsanwendung beruhenden Perspektive auf Prozesse der jüdischen, der allgemeinen und der Rechtsgeschichte sowie die Vermittlung von Kenntnissen der institutionellen Rahmenbedingungen der Speicherung historischer Quellen. Die Realisierung dieser zusätzlichen Ziele erfolgt in unterschiedlichen Abstufungen, abhängig von dem als Übungsgegenstand herangezogenen Quellenmaterial, der Niveaustufe, der Sprache und den Veranstaltungsorten.

Den Teilnehmer*innen werden zwei Aspekte der Verschränkung von jüdischer und allgemeiner Geschichte vermittelt. Thematisiert wird die trotz Antisemitismus enge Verflochtenheit der jüdischen Geschichte mit der europäischen Geschichte vor dem Holocaust. Damit soll einerseits ein Beitrag für ein kritisches Bewusstsein für das jüdische Erbe Europas und umgekehrt für das europäische Erbe Israels und von Judenheiten außerhalb Europas geleistet werden. Unterrichtet werden bewusst nicht nur jüdische Sprachen (Hebräisch, Jiddisch, Judendeutsch, bei Bedarf auch Judenspanisch), sondern auch Sprachen, die Juden entweder seit der Moderne zunehmend als ihre eigenen Sprachen betrachteten – Stichwort Deutsch als jüdische Sprache – oder die für das Verständnis der Rechtsverhältnisse der Juden in Mitteleuropa wichtig sind, Latein und Deutsch. Weiters wird die Geschichte von Juden und Judenheit(en) im ihren Verhältnis zur nicht-jüdischen Geschichte als Barometer für allgemeine historische Prozesse herangezogen.

Soweit dies mit dem primären Ziel der Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten im Umgang mit Originalquellen, insbesondere der Lesefähigkeit von Handschriften, kompatibel ist, wird der Unterricht auf der Grundlage von Originalquellen der Rechtsanwendung - law in action im Unterschied zu law in the books - durchgeführt. Den Teilnehmer*innen soll damit ein konkreter, quellenbasierter Zugang zur jüdischen, zur allgemeinen und zur Rechtsgeschichte ermöglicht werden. Verwendet werden vor allem handschriftliche Quellen aus der Rechtsprechung, dem Verwaltungshandeln und dem Vertragsrecht. Das Programm profitiert unmittelbar von Forschungsprojekten, die am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte durchgeführt werden, zu den jüdischen Betreffen des kaiserlichen Reichshofrats, zu den Rechtsparömien in der frühen Neuzeit, zur Rechtsprechung des Rabbinatsgerichts Prag (in Kooperation mit der Universität Tel Aviv) und zum praktischen Völkerrecht Jean Dumonts.

Die Kurse zum Erwerb bzw. zur Vertiefung von historischer Quellenkompetenz sind in dicht gestaltete Rahmenprogramme eingebettet. Diese vermitteln den Teilnehmer*innen einen fundierten Einblick in die „Speicher“ historischer Quellen, vor allem Archive, aber auch andere Institutionen, deren Aufgabe zumindest auch darin besteht, historische Quellen zu speichern und für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch den Besuch von Staatsarchiven, kirchlichen Archiven, Stadtarchiven, Adelsarchiven, Universitätsarchiven, Archivschulen, Bibliotheken, Museen und wissenschaftlichen Instituten etc. gewinnen die Teilnehmer*innen ein Bild von der Vielfalt der mitteleuropäischen Archivlandschaft, den unterschiedlichen Traditionen der Speicherung historischer Quellen und den aktuellen Herausforderungen der Quellenerschließung und der Digitalisierung.

Zu den Kooperationpartnern zählten und zählen, um nur einige zu nennen, in Wien die Abteilung Haus- Hof und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs, das Jüdische Museum Wien sowie Archiv und Bibliothek der Benediktinerabtei Unserer Lieben Frau zu den Schotten, in Wolfenbüttel die Herzog August Bibliothek (HAB), in Nürnberg das Bayerische Staatsarchiv, in Mühlhausen das Stadtarchiv, in Marburg das Hessische Staatsarchiv und die Archivschule, in Jerusalem die Israelische Nationalbibliothek und die Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP), in Hanau das Kulturforum, in Hamburg das Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, das Institut für die Geschichte der deutsche Juden und das Maimonides Zentrum der Universität Hamburg, in Gießen Archiv und Bibliothek der Justus-Liebig-Universität, in Freiburg/Fribourg das Bibel + Orient Museum, in Fulda das Stadtarchiv, in Fürth das Jüdische Museum Franken, in Frankfurt am Main die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, in Eisenstadt das Österreichische Jüdische Museum, in Castell das Fürstlich Castellsche Archiv, in Basel das Jüdische Museum der Schweiz und in Aurich die Abteilung Aurich des Niedersächsischen Landesarchivs.

Abhängig von der Nachfrage werden im Wintersemester sowie im Sommersemester Kurse auf unterschiedlichen Niveaustufen angeboten. Im Wintersemester sind diese Kurse Teil des Lehrangebots der Studienprogrammleitung Rechtswissenschaften (030543, 030550, 030555, 030564, 030589, 030621), im Sommersemester Teil des Programms der univie:summerschool „Geschichte der Juden im Hl. Röm. Reich und seinen Nachfolgstaaten“ (970022). Die im Wintersemester angebotenen Kurse finden teils in Wien im Juridicum, teils in Jerusalem im Österreichischen Hospiz und in den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) auf dem Givat Ram Campus der Hebräischen Universität statt. Die Kurse, die im Sommersemester angeboten werden, finden an den jeweiligen Austragungsorten der univie: summerschool statt.

Dank der Bewilligung des Projekts Quellenkompetenz in jüdischer Geschichte (2021-0.775.934) durch die Stabsstelle österreichisch-jüdisches Kulturerbe im Bundeskanzleramt kann die Teilnahme von Student*innen der Universität Wien finanziell unterstützt werden. Nähere Information finden Sie unter „Aktuell“.

Großzügig unterstützt durch