Josephinism in a Jewish Key – Staatlicher Disziplinierungswille und lebensweltlicher Widerstand in Galizien, 1782–1806
Vorstellung des Buches von Dirk Sadowski:
Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen
Schulen in Galizien 1782–1806, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010
Dirk Sadowskis Studie berichtet von der Begegnung zweier historischer Diskurse, der jüdischen Aufklärung (Haskala) und des Reformabsolutismus österreichisch-josephinischer Prägung, auf dem Feld der forcierten Modernisierung einer traditionell verfassten Gemeinschaft. Im Jahre 1782 befahl Kaiser Joseph II. im Zuge seiner Toleranzgesetzgebung die Einrichtung von Elementarschulen für jüdische Kinder im Habsburgerreich. In Galizien mit seiner großen, unter kameralistischer Perspektive als „schädlich“ apostrophierten jüdischen Bevölkerung war diesen Schulen eine besondere erzieherisch-produktivierende Funktion zugedacht. Mit der Aufsicht über das Schulwesen wurde der Aufklärer und Pädagoge Herz Homberg (1749–1841) betraut. Ihm gelang es in kurzer Zeit, ein Netz von über 100 Schulen zu etablieren, in denen jüdischen Kindern die Grundlagen des Lesens und Schreibens der deutschen Sprache beigebracht wurden.
Das Buch von Dirk Sadowski behandelt diesen Gegenstand aus doppelter Perspektive: Zum einen fragt es nach der Übertragung von jüdisch-aufgeklärten erzieherischen Konzepten in die Praxis reformabsolutistischer Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Dabei werden Schnittmengen, aber auch Reibeflächen zwischen dem pädagogischen Programm der Haskala und dem auf soziale Disziplinierung zielenden Ansatz der josephinischen Erziehungsoffensive sichtbar. Die an den zeitgenössischen staatswissenschaftlichen Diskurs adaptierte Haskala Hombergs betraf nicht nur den deutschen Unterricht in den ‚Normalschulen’, sondern sie zielte auch auf eine Unterordnung der traditionellen, religiösen Erziehung der jüdischen Kinder unter die Normen von Aufklärung und Nützlichkeit. Vor allem hieran entzündete sich der Widerstand der galizischen Juden gegen die staatlichen Schulen.
Zum anderen nimmt das Werk unter Anwendung von Konzepten der historischen Bildungsforschung die Schulwirklichkeit im galizisch-jüdischen Kontext in den Blick. Es untersucht den Schulbesuch der jüdischen Kinder und versucht, die Ursachen des von Homberg und den österreichischen Behörden immer wieder beklagten Fernbleibens der Kinder vom Unterricht zu ergründen. Wie überall im Pflichtschulwesen des 18. Jahrhunderts behinderten infrastrukturelle Mängel, Armut und daraus resultierende Erwerbszwänge die angestrebte Schulnützlichkeit der jüdischen Bevölkerung. Traditionelle Vorbehalte gegenüber den Schulen äußerten sich in einer bewussten Verweigerungshaltung. Die Studie beschreibt die Gegenstrategien, mit denen sich die jüdische Bevölkerung und ihre Eliten gegen die mit den Schulen verbundenen repressiven und traditionsgefährdenden Momente wehrten – ein Widerstand, der zum Ende der jüdischen deutschen Schulen in Galizien im Jahr 1806 beitrug.
Dr. Dirk Sadowski – Studium der Israelwissenschaften, der Judaistik sowie der neueren und neuesten Geschichte an der Humboldt-Universität, der Freien Universität Berlin und der Hebräischen Universität Jerusalem. Promotion 2008 an der Universität Leipzig. 2001 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig. Seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut für internatio-nale Schulbuchforschung und Koordinator der deutsch-israelischen Schulbuchkommission.